Im Interview mit der »reden« Redaktion – Dr. Wolfram Schön

Lieber Wolfram, Vertrauen ist nicht erst seit dem Erscheinen deines Buches »Vertrauen, die Führungsstrategie der Zukunft« dein Kernthema. Warum ist dir das so wichtig?

Vertrauen ist zunächst eine zentrale Voraussetzung für das Gestalten und Gelingen jeder sozialen Beziehung. Es ist jedoch nicht nur ein Beziehungs-, sondern auch ein Businessthema, denn Business ist Beziehung! Als Manager und Berater habe ich immer nach einem verbindenden Glied zwischen Strategie und Prozessen auf der einen Seite und dem Menschen auf der anderen Seite gesucht und zunächst dafür die Kommunikation ausgemacht. Doch dann habe ich durch meine Tochter eine wichtige Erfahrung machen dürfen, die mir die Bedeutung von Vertrauen deutlich vor Augen geführt hat. Als ich ihr nämlich Vertrauen geschenkt und ihr schulisches Engagement in ihre eigenen Hände gelegt habe, ist etwas für mich damals Überraschendes passiert: Das entgegengebrachte Vertrauen löste einen Ermächtigungsschub aus, Marie agierte plötzlich frei von meinen Vorgaben, übernahm Verantwortung für sich selbst und ihre Resultate. Ihr schulisches Engagement explodierte geradezu, und die Ergebnisse waren beeindruckend. Ein echter Wendepunkt für sie, aber auch für mein Denken und meine Haltung. Ab diesem Zeitpunkt habe ich mich intensiv mit Vertrauen beschäftigt. Wie es entsteht und welche Resultate Vertrauen auslöst – bei Führungskräften, in der Teamperformance und in Unternehmen. Mein Fazit: Während mangelndes Vertrauen ein effektives Miteinander lähmt und sowohl das Engagement als auch die Zufriedenheit der Mitarbeiter negativ beeinflusst, stärkt Vertrauen jeden operativen und organisatorischen Prozess. Es erhöht die Zufriedenheit, das Commitment zum Unternehmen und zur Führungskraft, fördert das Verantwortungsbewusstsein und lässt ein echtes Miteinander entstehen. Deshalb ist Vertrauen meine Herzensangelegenheit und eine der Schlüsselfertigkeiten jeder erfolgreichen Führungskraft und jedes Unternehmens.

Der Begriff »Vertrauen« ist nicht so scharf definiert.
Wie würdest du es beschreiben?

Meine Definition lautet: »Vertrauen ist die Zuversicht, dass ein anderer berechenbar im gemeinsamen Interesse handelt.« Sie enthält drei wesentliche Aspekte. Kernelement ist das gemeinsame Interesse. Ist es zwischen den Interaktionspartnern vorhanden, dann entsteht ein stabiles Vertrauensverhältnis. Vertrauen steht immer auch unter Missbrauchsvorbehalt, eine Tatsache, die es vielen Menschen schwer macht, zu vertrauen. Deshalb steuert die Zuversicht zum einen die Zukunftsorientierung, zum anderen die Komponente der Ungewissheit in einer positiven Ausprägung bei. Der Begriff Berechenbarkeit bringt das psychische Grundbedürfnis nach Sicherheit mit ein.

Du sagtest, dass die Fähigkeit, echtes Vertrauen zu leben, eine Schlüsselfertigkeit erfolgreicher Managerinnen und Manager ist. Wie profitieren Führungskräfte davon, »mehr Vertrauen zu wagen«?

Sie profitieren über alle Maßen! Wenn eine Führungskraft es schafft, eine vertrauensorientierte Haltung zu entwickeln, Vertrauen im täglichen Handeln, Denken und Kommunizieren zu etablieren, dann wird sie mit vielen positiven Erfahrungen und Ergebnissen belohnt. Vertrauen ermächtigt Menschen. Es gibt ihnen Sicherheit, ihren Vorgehensweisen zu trauen, ihre Wege entschlossen zu gehen und Verantwortung für die Resultate zu übernehmen. Die Folge: mehr Zufriedenheit, ein Entfaltungsschub, eine hohe Verbundenheit der Mitarbeitenden zur Führungskraft, und diese erhält einen neuen, wirkungsvollen Zugang zum Team, zu jeder einzelnen Person. Jede Interaktion ist von gegenseitigem Interesse geprägt, alle arbeiten gemeinschaftlich an den gemeinsamen Zielen. Die Kaskade lautet letztendlich: Vertrauen – Engagement – Verantwortungsübernahme – Zielerreichung – Produktivität.

Beeindruckend!
Doch welche Aspekte führen konkret zu Vertrauen und was können Führungskräfte, was kann jeder Einzelne tun, um mehr Vertrauen zu leben?

Im Gegensatz zum Diamanten spielt Druck bei der Entstehung von Vertrauen keinerlei Rolle. Im Gegenteil: Druck und Zwang laufen der Entwicklung von Vertrauen zuwider. Ich habe in meinem Buch (Vertrauen, die Führungsstrategie der Zukunft) sieben Aspekte postuliert, die bei der Entstehung von Vertrauen wirken. Kompetenz: Wir vertrauen Menschen, die ihre fachliche oder methodische Kompetenz bewiesen haben. So vertrauen wir einem Piloten unser Leben an, weil wir der Airline und deren Pilotenausbildungsprogramm vertrauen. »Ich vertraue mir selbst« ist ein wichtiger Aspekt in der Vertrauensbildung. Wenn ich tue, was ich mir vornehme, entwickle ich Vertrauen in mich selbst. Diese positiven Erfahrungen triggern nach Luhmann die Bereitschaft, auch anderen zu vertrauen. Ebenfalls wichtig sind die Aspekte Wertschätzung und Respekt. Gelebte Wertschätzung heißt, Menschen wahrzunehmen und ihnen unvoreingenommen zu begegnen. Respekt wiederum basiert auf der Achtung persönlicher Werte, der Wahrung von Vertraulichkeit und der Beachtung persönlicher Grenzen. Das Ablegen von gegenseitigen Vorurteilen und Vorwürfen wirkt sich besonders positiv aus. Eine transparente Bereitstellung von Informationen (kein Herrschaftswissen!) zahlt ebenfalls auf das Vertrauenskonto ein. Das Zeigen von Interesse an anderen Menschen ist ein wichtiger, häufig unterschätzter Aspekt in der Vertrauensbildung. Wer sich wirklich interessiert, nachfragt und Bezug nimmt, hebt den Austausch auf eine neue Ebene. Der siebte Aspekt, das Erleben, adressiert den persönlichen Kontakt. Eine Führungskraft sollte stets physisch und mental präsent sein.

Das Thema Vertrauen endet für dich sicher nicht bei den Führungskräften?

Nein, ich unterstütze auch Unternehmen dabei, eine Vertrauenskultur und eine vertrauensorientierte Haltung zu etablieren. Entschließt sich ein Unternehmen, auf die Karte »Vertrauen« zu setzen, so ist das für die Organisation, aber auch für jede Führungskraft eine Entscheidung, die etwas ganz Wesentliches verändert: die Kultur des Miteinanders und auch des Führens. Wer sich bewusst für mehr Vertrauen entscheidet, wird viele Verhaltensweisen hinter sich lassen und eine neue Haltung einnehmen müssen.

Wie können Firmen von einer Vertrauenskultur direkt profitieren, bzw. schrillen bei mittelständischen Unternehmen beim Thema »Kulturveränderung« nicht häufig sofort die Alarmglocken?

Vertrauen ist die Antwort auf viele Probleme und Herausforderungen in einem Unternehmen. Durch Vertrauen werden Prozesse schneller, bei gleichzeitig sinkenden Kosten, wie es S. Covey einmal postuliert hat. Paul J. Zak, ein US-amerikanischer Neuroökonom, hat die Performance von Unternehmen, die auf Vertrauen setzen (High-Trust-Unternehmen), verglichen mit welchen, die eher auf Kontrolle und Vorgaben (Low-Trust-Unternehmen) setzen. Die Ersteren verzeichnen bei den Mitarbeitenden 74% weniger Stress, eine 66% höhere Verbundenheit zum Unternehmen, sie sind engagierter und übernehmen mehr Verantwortung für ihr Handeln. Der zunehmende kollegiale Austausch schafft mehr Innovationen, stärkeres Engagement, reibungsfreie Prozesse und mehr erfolgreich abgeschlossene Projekte. Und die Produktivität steigt nach Zak um 50%. Zum zweiten Punkt der Frage. Ja, Kulturveränderungen können langwierig verlaufen. Wir gehen aber einen etwas anderen Weg. Wir sind maximal sechs Monate im Unternehmen. In dieser Zeit erzeugen wir Top-down eine vertrauensorientierte Haltung, die in Workshops, Coachings und interaktiven Gruppenveranstaltungen tief verankert wird. Wir setzen einen Impuls und ziehen uns dann sukzessive wieder aus dem Unternehmen zurück. Denn nach unserer Überzeugung werden Kulturveränderungen durch externe Berater gut angeschoben, aber die Kraft der Veränderung wird durch überzeugte und ermächtigte Geschäftsführungen, Manager und Teams selbst manifestiert.

Vorträge, Coaching von Führungskräften und Kulturprojekte. Was sind deine nächsten Pläne, um das Thema Vertrauen weiter voranzutreiben?

Wir haben ein Ausbildungskonzept entwickelt und bilden freiberufliche Coaches darin aus, unseren Ansatz kompetent bei deren Kundenunternehmen zu etablieren. Auch leiten wir Personen als »innerbetriebliche High-Trust-Berater« an, unseren Ansatz von Vertrauenskultur wirkungsvoll implementieren zu können. Voranmeldungen und Gespräche laufen aktuell. 

Spannend! Welchen Nutzen haben zukünftige »High-Trust-Berater« von der Zertifizierung?

Freiberuflichen Coaches erschließt sich ein neues Beratungsfeld. Innerbetriebliche High-Trust-Berater werden ermächtigt, im eigenen Unternehmen die Etablierung einer Vertrauenskultur zu moderieren und zu managen. Mehr Vertrauen wagen – es gibt viele Möglichkeiten, dies für sich persönlich oder als Unternehmen anzugehen.

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