»Erfahrung
entsteht nicht
durch Theorie.«
Helen Hain ist Unternehmerin, Vertriebsexpertin und Speakerin aus Leidenschaft. Vor dreißig Jahren katapultierte sie ein Schicksalsschlag ins Unternehmertum. Heute berät sie mit über sechzig Mitarbeitern mittelständische Unternehmen und internationale Konzerne mit ihrer Vertriebsberatungs- und Telemarketing Agentur MarketDialog in Eschborn. Wenn man Helen Hains Vita, die sie selbst als »Achterbahnfahrt« bezeichnet, kennt, ist es nicht verwunderlich, dass die Expertise der Keynote Speakerin auf dem Thema ›unternehmerischer Mut‹ liegt.
Unternehmerischer Mut
(Redaktion): Helen, dein Start ins Unternehmertum begann im Alter von 24 Jahren, als dein Ehemann verstarb. Wie kam es dazu?
(Helen) Es war die dunkelste Phase meines Lebens. Einen geliebten Menschen zu verlieren ist immer von tiefer Trauer begleitet, aber in meinem Fall kam eine große, meine Existenz bedrohende Katastrophe dazu. Mein Mann war erfolgreicher Unternehmer. Er baute Golfplätze, die er an Investoren verkaufte, was bedeutete, dass die Grundstücke vorfinanziert werden mussten. Dafür hatte er hohe Darlehen aufgenommen. Aufgrund seiner Krebserkrankung bestand die Bank damals auf einen weiteren Bürgen.
Diese zweite Unterschrift hatte ich geleistet. Man könnte diesen Schritt aus heutiger Sicht als naiv betrachten, aber wir waren jung, haben uns geliebt und ich habe ihm vertraut. Es hätte gut ausgehen können. Wer rechnet damit, dass der Ehemann im Alter von nur 33 Jahren verstirbt? Somit stand ich nach seinem Tod mit meiner damals anderthalbjährigen Tochter, einem Unternehmen, das ich nur oberflächlich kannte und Firmenschulden in Millionenhöhe allein da. Aus Liebe zu meiner Tochter habe ich entschieden das Unternehmen weiterzuführen, die bestehenden Projekte zu Ende zu bringen, um so die Chance zu haben, die Schulden zurückzuzahlen.
Hat dieses Erlebnis dazu geführt, dass du das Thema »unternehmerischer Mut« als Schwerpunktthema deiner Speaker Karriere gewählt hast?
Nun, dieses Erlebnis liegt dreißig Jahre zurück und seitdem bin ich, bis auf eine sehr kurze Periode, Unternehmerin. Die Firma meines verstorbenen Mannes habe ich nach acht Jahren verkaufen können und damit war ich schuldenfrei. Diese acht Jahre haben mich sehr geprägt und reifen lassen. Dank learning-by-doing habe ich mir, auch mit der Unterstützung der Mitarbeiter und Kunden, einen großen Erfahrungsschatz in allen Bereichen des Unternehmertums aufgebaut und viele Hürden auf diesem Weg überwunden.
Wie ging es nach dem Verkauf der Firma für dich weiter?
Ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte. (Lacht). Ich trat eine Position in Festanstellung in einer Vertriebs- und Telemarketingagentur an und war glücklich und zufrieden. Wenige Monate später stand das Unternehmen jedoch vor der Insolvenz. Gerade glaubte ich mein Leben im Griff zu haben, stand ich schon vor dem nächsten Problem. Aus heutiger Sicht führten meine Wut und Frustration bei mir zu so etwas wie »Think big«. Es mag verrückt klingen, aber ich entschied die Firma aus der Insolvenz zu übernehmen. Wenn ich es einmal geschafft hatte, warum nicht ein zweites Mal, dachte ich selbstbewusst. Investoren waren
schnell gefunden, denn mittlerweile war ich gut vernetzt. Nach vier Jahren im Hamsterrad merkte ich jedoch, dass meine Partner nicht mit mir an einem Strang zogen, sondern das Unternehmen in eine Richtung führen wollten, die sich mit meinen Vorstellungen nicht deckte. Kurz: Es ist mir gelungen, deren 80 % der Firmenanteile zu übernehmen. Das war ein harter Kampf, wie du dir sicherlich vorstellen kannst. Ich bereue es nicht, dieses Risiko eingegangen zu sein, denn nur so hatte ich die Möglichkeit MarketDialog zu dem zu machen, was sie heute ist. Eine profitable Agentur mit den Werten Mut, Vertrauen und Wertschätzung. Wir leben die Business2Human Philosophie, nach welcher der Mensch im Vordergrund steht, egal ob Mitarbeiter, Kunde oder die Kunden unserer Kunden.
Was macht aus deiner heutigen Sicht unternehmerischen Mut aus?
Wer ein Unternehmen gründet, braucht zunächst eine Vision. Diese Vorstellungskraft ist der Antrieb. Viele haben den Wunsch, selbstständig tätig zu sein, auch mangelt es ihnen nicht an Ideen. Aber einige befassen sich jahrelang mit Theorien, Studien, Businessplänen, doch es fehlt ihnen der Mut, den Schritt auch zu gehen, die Komfortzone zu verlassen und etwas Neues zu wagen.
Ist es nur der Mut, der ihnen fehlt oder sind es die Rahmenbedingungen, die einer Gründung im Wege stehen?
Unternehmertum ist weit mehr als die Gründung einer Firma. In der Regel braucht man zunächst Kapital. Wer die benötigte Summe nicht aufbringt, braucht eine Finanzierung des Vorhabens. Dazu muss man Banken, Investoren oder Venture Capital Geber von sich und seiner Idee überzeugen. Das ist die erste große Herausforderung. Als mein Mann verstarb, dachte ich, der schwierigste Schritt sei, das Unternehmen zu führen. Die größte Katastrophe war jedoch, dass mir die Banken kurz nach seinem Tod alle laufenden Kredite kündigten. Viele Banken haben meine Anfrage abgelehnt. Kannst du dir vorstellen, wie viel Mut es erforderte, es immer wieder zu versuchen, vor allem wenn der Druck groß ist und der Faktor Zeit eine entscheidende Rolle spielt? Beharrlichkeit und trotz vieler Absagen sein Ziel nicht aus den Augen zu verlieren, ist auch eine Form von Mut. In meinem Fall zeigte sich eine Bank mutig genug, an mich und meinen Vorhaben zu glauben, und bewilligte mir die Finanzierung.
In welchen weiteren Bereichen des Unternehmertums ist mutiges Handeln besonders wichtig?
Ein Unternehmer ist sicherlich von seinem Produkt oder seiner Dienstleistung überzeugt. Der Schlüssel zum unternehmerischen Erfolg liegt jedoch in der Gewinnung und der Begeisterung von Kunden, folglich im Vertrieb. Auf potenzielle Kunden zuzugehen, Kaltakquise zu betreiben, alle digitalen und analogen Vertriebskanäle zu bespielen, um Umsatz zu generieren, erfordert ebenfalls Mut und Weitsicht. Es gilt eine gesunde Balance zwischen Einnahmen und Ausgaben zu erarbeiten. Wo bin ich gezwungen zu investieren, um das Wachstum voranzutreiben? Welche Risiken kann ich eingehen? An welcher Stelle muss ich im Gegenzug Einsparungen vorsehen? Selbstverständlich gehört der Aufbau eines guten und flexiblen Teams zu den Kernaufgaben eines jeden Unternehmers. Diese Aufgabe bildet ebenfalls einen Erfolgsfaktor für erfolgreiches Unternehmertum und erfordert Mut.
Du meinst Recruitment erfordert Mut?
Wir müssen uns trauen, Menschen einzustellen, die nicht nur durch ihren Lebenslauf, sondern auch durch ihre Persönlichkeit überzeugen. Ich war schließlich auch Quereinsteigerin und lerne heute noch jeden Tag dazu, weil ich diesen Anspruch an mich habe. Ungerade Lebensläufe zeigen manchmal auch, dass Menschen den Mut hatten, sich zu verändern, sich nicht fürchten, Neues auszuprobieren. Sie könnten sich zu wertvollen Mitarbeitern entwickeln. Frauen mit Kindern arbeiten häufig sehr effizient und sind stressresistent. Ich bin selbst Mutter von drei Kindern und kenne den Spagat zwischen Karriere und Familie. Viele Unternehmer propagieren zwar Andersdenken, dulden jedoch keinen Widerspruch und bewegen sich immer noch in zu starren Strukturen. Man muss den Mut haben, Mitarbeiter, die hinterfragen, zu fördern und gemischte Teams bezüglich Geschlecht, Alter und Herkunft zusammenzustellen. Konstruktive Kritik und unterschiedliche Sichtweisen müssen zu einer offenen Firmenkultur gehören, das ist wichtig für die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens. Vertriebsstärke basiert auf Kommunikationsfähigkeit. Aus guten Gesprächen und der Fähigkeit zuzuhören ergeben sich neue Chancen.
In welchen weiteren Bereichen des Unternehmertums ist noch Mut gefragt?
Die Bewältigung von wirtschaftlichen und damit verbundenen unternehmerischen Krisen stellt Unternehmer vor große Herausforderungen. Es erfordert viele mutige und zeitnahe Entscheidungen, um sein Unternehmen sicher durch solche Zeiten zu navigieren. Wenn ich an die Automobilkrise, die Finanzkrise, seit 2020 die Coronakrise denke, so waren es immer meine mutigen Entscheidungen und nicht das Aussitzen, die uns weitergebracht haben. Zu Beginn meiner unternehmerischen Laufbahn ist es mir schwergefallen, Nein oder Stopp zu sagen. Als ich die erste Kündigung aussprechen musste, habe ich die Nacht zuvor schlecht geschlafen. Es fällt mir immer noch nicht leicht, aber ich trage die Verantwortung für das Unternehmen, viele Mitarbeiter und deren Familien. Darauf muss ich meinen Fokus legen. Ich stehe hinter jedem Entschluss, den ich treffe, wohl wissend, dass ich zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen kann, ob sie sich als richtig erweisen wird. Das ist unternehmerisches Risiko. Es erfordert Selbstreflexion, sich im Nachhinein einzugestehen, dass man möglicherweise falsch abgebogen ist. Das kann passieren. Kein Unternehmer hat hellseherische Fähigkeiten. Aber wer nichts wagt, verpasst vielleicht die Chance seines Lebens.
Wir danken Helen Hain für das Interview.