Die Kunst der Provokation in Reden.
Standing Ovation. Das Publikum tobt. Der Redner hat die Erwartungen des Publikums zur vollsten Zufriedenheit erfüllt. Doch ist das wirklich das, was einen guten Vortrag ausmacht? Besteht die Kunst darin, bestehende Gedanken zu bestätigen und den Zuhörenden aus der Seele zu sprechen?
Wie provokant darf bzw. sollte ein Vortrag sein?
In der Redekunst geht es nicht nur darum, den Zuhörenden das zu geben, was sie erwarten. Es geht auch nicht nur darum, dem Publikum zu gefallen. Es geht darum zu kratzen, neue Gedankenimpulse zu setzen und den Status quo herauszufordern. Ein guter Vortrag zeichnet sich durch einen entscheidenden Perspektivwechsel aus, der zum Nachdenken anregt.
»Zahlen, Daten, Fakten« sind langweilig.
Gerade in der Gesundheitsbranche, in der ich als Redner tätig bin, stoße ich oft auf bestehende Erwartungen und Vorurteile. Ein typischer Vortrag zum Thema »Gesundheit« soll seriös sein, fachlich fundiert und mit nützlichen Tipps und Tricks für ein gesünderes Leben aufwarten. Doch wenn wir ehrlich sind, klingt das ziemlich langweilig und vorhersehbar. Gesundheitstipps hören wir schon seit unserer Kindheit zur Genüge, und ein Wissensdefizit im Bereich Gesundheit besteht kaum. Auch in vielen anderen Themenfeldern wird das Rad ebenfalls nicht neu erfunden – und dank der heutigen digitalen Möglichkeiten besteht der Mehrwert eines Vortrags vermutlich nicht mehr darin, andere Menschen zu »informieren« – außer vielleicht beim klassischen Fachvortrag.
Ein Fachvortrag informiert über ein Thema. Eine Keynote macht Werbung für ein Thema.
In einer guten Keynote geht es darum, die Zuhörenden einen »Aha«-Moment erleben zu lassen, der sie dazu bringt, in Ruhe über das Gehörte nachzudenken. Es ist der Moment, in dem sie sagen: »Damn it! Das muss ich mal sacken lassen.« Das Ziel sollte sein, diesen Moment, indem Erwartungen gebrochen werden und zum Nachdenken herausgefordert wird, zu erzeugen. Dabei werden Emotionen geweckt und eine tiefere Verbindung zum Thema hergestellt. Um einen wirkungsvollen Vortrag zu gestalten, ist es auch mal erforderlich, dass Redner ihre eigene Komfortzone verlassen. Es braucht Mut, den Status quo herauszufordern und kontroverse Themen und Tabus anzusprechen. Es kann polarisieren und sogar Widerstand und Kritik erzeugen. Doch genau darin liegt der Mehrwert: die Möglichkeit, das Publikum zum Umdenken anzuregen und neue Denkanstöße zu liefern – selbst dann, wenn nicht alle einverstanden sind. Dabei ist zu beachten: Provokation bedeutet nicht, andere zu beleidigen oder zu demütigen. Es geht darum, zu irritieren und neue Perspektiven zu öffnen, ohne dabei die Wertschätzung und den Respekt für das Publikum zu verlieren.
»Hör auf, anderen gefallen zu wollen.«
Es ist an der Zeit, Everybody’s Darling hinter uns zu lassen. Indem wir Erwartungen brechen und unbequem sind, können wir einen bleibenden Eindruck hinterlassen. So können wir die Grenzen bestehender Überzeugungen erweitern und einen echten Mehrwert für unser Publikum schaffen.