»Heute Nacht hole ich dich du Schlampe. Und wenn ich dich gefickt habe, gibt’s einen Kopfschuss. «
Influencing Best Practice
Es war ein Abend im November 2021. Eigentlich war alles wie sonst auch. Ich war morgens um 5.30 aufgestanden und hatte die Kinder fertig für Schule und Kita gemacht. Pausenbrote geschmiert, die Meerschweinchen gefüttert und dann zur Arbeit gefahren. Ich hatte einen ganz normalen Tag im OP. Schnitt: 8:00 Uhr – Ende: 16:30 Uhr . An diesem Tag war alles wie an den Tagen zuvor, bis auf eine Sache: Da Covid zu diesem Zeitpunkt noch eine große Rolle spielte, diskutierte die Politik über eine »einrichtungsbezogene Impfpflicht«. Das hätte bedeutet: Alle Menschen in Pflegeeinrichtungen bzw. in Heilberufen unterlägen einer Impflicht. Zu diesem Vorschlag war meine Haltung eine andere. Ich fand damals, dass es wenig sinnig wäre meine Berufsgruppe zur Impfung zu »zwingen« während sich der Rest auf unserem Impfstatus ausruhen konnte. Also verfasste ich an diesem Abend einen Beitrag, indem sich sagte »Eine einrichtungsbezogene Impflicht halte ich für sinnfrei, WENN es eine Pflicht geben SOLLTE – dann für alle.«
Nun, man könnte sagen, dass war der Anfang eines psychischen Martyriums. Dieser Satz wurde in einschlägigen Gruppen so verdreht, dass ich nun als DIEJENIGE denunziert wurde, die eine allgemeine Impflicht forderte. Natürlich war ich durch meinen Social Media Auftritt diverse Anfeindungen gewohnt. Das übliche, dass Menschen passiert, die im Internet ein Stück ihres Lebens und ihre Meinung teilen.
Ich war schon fast alles: Die faule Arztgattin, die an einem Donnerstag Morgen Zeit für Tennis hat. Die aufmerksamkeitsgeile Pflegekraft, die ihr Gesicht auf dem STERN Cover hatte. Die privilegierte Influencerin, die ja alles hat. Es ist eine Tatsache , dass wir akzeptieren und durchleuchten müssen. Die Menschen sehen das, was wir ihnen zeigen. Das sind natürlich überwiegend gute Momente. Es gibt viele schwarze Schafe unter den – ich will sie eigentlich gar nicht »Kolleg:innen« nennen – die ihre öffentliche Präsenz missbrauchen und nutzen.
Dazu zähle ich persönlich auch das Zeigen der Kinder auf Instagram, das aber leider Likes und Reichweite bringt. Natürlich kann man sein ganzes Privatleben an die Öffentlichkeit zerren, vor der Kamera heulen, von intimen Details berichten und leiden – das bringt Aufmerksamkeit.
Zurück zu diesem Abend im November: Es begann eine Hetzjagd auf mich. Wahrscheinlich – ich gehe vom Guten im Menschen aus – war das von den Initiatoren so gar nicht geplant … Wobei – es las sich stellenweise dann doch anders. Plötzlich brannte es in den Telegram Gruppen, es gäbe einen Blogbeitrag über mich, der sich auf das eigentliche Thema, dass die Menschen so erzürnt hatte gar nicht mehr bezog. Da wurde plötzlich gehetzt, meine Arbeitgeber veröffentlicht, über mein Privatleben spekuliert und dazu aufgerufen »Mir die Meinung zu sagen«. Ich denke wir sind und einig, was es bedeutet in einer so hitzigen Diskussion jemandem »Die Meinung zu sagen«.
Da kamen keine Nachrichten, die anfingen wie »Liebe Frau Böhler, ich sehe ihre Einschätzung der Dinge anders« (und wir reden immer noch über einen Kontext, der völlig verdreht wurde). Wir reden über Nachrichten wie »Du scheiß Pharma Mäuschen kriegst, was du verdienst hast.« »Du Schlampe wirst doch von der Regierung bezahlt.« »Du bist schlimmer als die Massenmörder der Nazis.» »Hoffentlich verreckt ihr alle elendig.« Nun, ich war wie gesagt, einiges gewohnt. Im November 2021 stand ich plötzlich vor einer Situation, die mich an diesem Abend dazu bewog, nicht ins Bett zu gehen. Die letzte Nachricht, die mich erreichte war folgende »Heute Nacht hole ich dich du Schlampe. Und wenn ich dich gefickt habe, gibt’s einen Kopfschuss.« Ich war mir plötzlich nicht mehr sicher, wie wahr der Inhalt dieses Liebesbriefes war.
Und so blieb ich in dieser Nacht wach. Ich dachte an meine Kinder, die in ein paar Stunden zur Schule mussten. Ich hatte ein Messer in der Hand. Das größte, dass ich in meiner Küche finden konnte Als es langsam hell wurde, umklammerte ich den Griff des Brotmessers immer noch, gleichzeitig flammte Erleichterung in mir auf. Der Mann war nicht gekommen. Im Verlauf dieser Woche schlief ich weitere drei Tage nicht und die restlichen vier schlecht. Beim Einkaufen wurde mir vor die Füße gespuckt und der kaum 20 Jahre alte »Junge« zischte mir »Schlampe« hinterher. Vor der Tür meiner Arbeitsstelle standen zwei – kaum einer älter als 18 Jahre – junge Männer, die mir grinsend zunickten und mich fragten, ob ich immer noch eine regierungstreue Impfhure sei.
Nachdem ich schließlich zwei meiner fünf Meerschweinchen tot im Außengehege fand, – verstreutes Blaukorn um sie herum –, ein großer Kratzer in meinem Auto, war ich bereit, aufzugeben. Für den Moment. Schlussendlich hat mich diese Zeit meine mentale Gesundheit gekostet … Nach über einem Jahr, einer Psychotherapie und beruflicher Auszeit bin ich nicht mehr die Alte. Geblieben ist mir eine Angststörung und das stetige Gefühl, verfolgt zu werden. Ich habe darüber nachgedacht, einfach alles hinzuwerfen. Auch mit dem Gedanken: »Für wen opfere ich mich?« Mit dem Aufgeben ist es so eine Sache. Die jahrelange Arbeit im Kampf gegen den Pflegenotstand, politisches Versagen und Stärkung meines Berufsstandes war es nicht so einfach die weiße Flagge zu hissen. Aber ich habe eine Pause gebraucht.
Heute kann ich folgendes sagen: Ich habe mich daran gewöhnt, mit Sozialneid, dem Frust fremder Menschen und auch mit purem Hass konfrontiert zu werden. Aber: Ich ignoriere es nicht mehr. Es gibt Wege, juristisch gegen diese Menschen vorzugehen. Es gibt Wege, die eigene psychische Gesundheit vor ihnen zu schützen. Hat man die Intention einiger Internet Rambos verstanden, dann bleibt eine Sache übrig: Mitleid
Mitleid mit denjenigen denen es so schlecht gehen muss um ihren Frust in moralischer Überlegenheit oder purem Hass zu entladen. Hat man das verstanden, dann geht es einfacher. Ich denke mir heute oft »Du tust mir leid … Was ist dir nur widerfahren, dass du dich so über andere erheben musst?« Es geht einfacher. Und das muss es: Sonst überlebst du in dieser digitalen Welt nicht, in der jeder unter einem Pseudonym tun und lassen kann was er möchte.